Zweifall  

Zweifall (Gemeinde Stolberg) (Frühe Zeugnisse: a.1396 Reynart van dem Tzwiivell; Försterrenten der Wehrmeisterei, ohne Datum, up dem Zwivel der hammer; Bruderschaftsbuch der Pfarrkirche Kornelimünster [1423-1552] u.a. Peter van der Tzwivel, Thomis Brower up dem Tzwivell; a. 1516 der Zwyuell )

Zweifall liegt im Tal der Vicht, wo sie von rechts die Hassel (in topographischen Karten Hasselbach) aufnimmt und der Talboden sich verbreitert. Hier kreuzt die talabwärts verlaufende Straße von Roetgen /Rott nach Stolberg und Gressenich mit der von der Höhe von Raffelsbrand kommenden, quer zur Flussrichtung nach Breinig und Kornelimünster führenden.

Der Ort übergriff seit seinen Anfängen spätmittelalterliche Territorialgrenzen, insofern das Gebiet links der Vicht zur reichsunmittelbaren Fürstabtei Kornelimünster, rechts der Vicht zum Herzogtum Jülich gehörte, wobei links der Hassel das Jülicher Amt Monjoye, rechts das Jülicher Amt Wehrmeisterei lag, beide eigene Rechtsgebiete. Er verdankt seine Entstehung der Eisenverhüttung und -verarbeitung, wie sie in der gleichen Epoche auch in den Tälern von Rur und Kall zu beobachten ist (vgl. z.B. Hammer, Pleushütte, Simonskall). Die mehrfache Nichtbeachtung der Grenzen zeigt, wie das wirtschaftliche Interesse und die Wasserführung die Anlage der wichtigen Mühlenwerke bestimmt hat und nicht die Rücksichtnahme auf Grenzen, ein Hinweis auf die Entstehung in der vormodernen, vorstaatlichen Zeit. Die Annahme jedoch der Anfänge Zweifalls schon zum Ende des 13. Jahrhunderts, wie in der Literatur verbreitet, ist wenig wahrscheinlich und wird hier aus folgenden Gründen nicht weitergegeben:

1. Die traditionelle Argumentation stützt sich auf das Weistum der Wehrmeisterei in der Ausgabe von Ritz (1824). Nicht nur ist dessen Datierung der Überlieferung anzuzweifeln, jüngere Editionen nach anderen Überlieferungen zeigen, dass die erhaltenen Versionen aus Textstücken verschiedenen Alters zusammengesetzt sind. Der Abschnitt Dit synt die Inkomende Renthen der vorsteren, der den Beleg up dem Zwivel der hammer enthält, ist mit Sicherheit jünger als das eigentliche Weistum und fehlt in anderen Überlieferungen und Editionen.

2. Die Verlagerung der Verhüttung und Bearbeitung von Eisen in die Täler und Nutzung der Wasserkraft erfolgte allgemein nicht vor dem ausgehenden 14. Jahrhundert an, eher im 15. Im Bereich Schleiden sind die technischen Neuerungen etwa um die Mitte des 15. Jahrhunderts anzunehmen. Wenn in der wichtigen Tauschurkunde von 1361, mit der Herzog Wilhelm II. von Jülich und Reinhard von Schönau/Schönforst den Tausch der Länder Kaster und Monschau besiegelten, die die Schönforster Pfandherrschaft in Monschau begründete und die deshalb alles Monschauer Zubehör genau auflistete, der „Industriestandort“ Zweifall jedoch nicht aufgezählt ist, dann dürfte er schwerlich schon bestanden haben.

Die Anfänge von Zweifall sind daher eher für das ausgehende 14. oder beginnende 15. Jahrhundert anzunehmen. Von der großen Zahl der Hämmer und Mühlenwerke an Vicht und Hassel zeugen viele Flur- und Stellenbezeichnungen über spätere Schriftquellen hinaus. Von mehreren Anlagen ist heute nichts mehr zu sehen, anders als bei den größeren und in der frühen Neuzeit modernisierten Werken Junkershammer, Klapperhammer, Plattenhammer und Neuenhammer, diese auf dem Gebiet der Wehrmeisterei. Dazu kamen mehrere Schleifmühlen, Papiermühlen und eine Kupfermühle, aber auch Mahl- und Ölmühlen. Neben Roheisen und Schmiedeisen wurden auch Fertigprodukte hergestellt: Öfen, Takenplatten, Ketten, Draht, Nägel, Geschützkugeln usw. Einen Aufschwung erlebten die Zweifaller Werke im 17. Jahrhundert, als die Familie Hoesch auch hier unternehmerisch tätig war (vgl. Eicherscheid, Pleushütte, Zweifallshammer). Eine weitere Blütezeit kam mit der Zeit der napoleonischen Wirtschaftspolitik während der Zugehörigkeit des Rheinlands zu Frankreich.

Der in der Umgebung anstehende Eisenstein ist schon in römischer Zeit an Ort und Stelle verhüttet worden (z.B. im Tal der Wehe), doch besteht an keinem der römerzeitlichen Hüttenplätze eine Verbindung ins Mittelalter.

In der mit vielen sagenhaften Elementen durchsetzten „Copia“ des Reichensteiner Protokollbuches wird der Ortsname mit dem Appellativ ‚Zweifel‘ erklärt, weil wegen

der Grenzsituation und Verlegung von Wasserläufen die Zuordnung der Stauwerke zum Antrieb der Hämmer nicht eindeutig gewesen sei. Diese Deutung ist nicht von der Hand zu weisen, jedenfalls entspricht der Name in der Mundart exakt dem Appellativ und führt auch dessen maskulines Genus.

Laut Landrecht von 1516 war Zweifall der Bannmühle in der Kall zugewiesen; doch konnten Rott, Mulartshütte und Zweifall dank einer Erlaubnis von 1661 eine ersatzweise in Zweifall eingerichtete Bannmühle nutzen, wahrscheinlich die von Hoesch betriebene Kirchenmühle. Die Mahlmühle auf der Klapper lag im „Ausland“ der Wehrmeisterei und kam als Bannmühle nicht in Frage.

evangelische Kirche von 1683

Dass in Zweifall eine unternehmerische, wenig bäuerlich geprägte Bevölkerung dominierte, zeigt sich auch auf kirchlich-konfessionellem Gebiet. Die Zweifaller waren die ersten im Monschauer Land, die auf eigene Initiative 1521 eine Kirche fertiggestellt hatten, deren Einrichtung im Nachhinein (1522) vom Aachener Marienstift genehmigt wurde. Taufe und Ehespendung verblieben bei der Pfarrkirche Konzen. Nach dem Zeugnis der Visitation von 1559 war wenig später Simmerath als Pfarrkirche zuständig. Die Erhebung zur selbständigen Pfarre erfolgte 1804 im Rahmen des neukonstituierten ersten Bistums Aachen. Ein Kirchenneubau wurde 1852 geweiht (St. Rochus), der 1962-64 um ein neues Langhaus erweitert wurde.

Vor allem die im Textil- und Eisengewerbe unternehmerisch tätige Bevölkerung und der niedere Verwaltungsadel zeigten sich vielerorts im Amt der reformatorischen Bewegung gegenüber aufgeschlossen; 1575 bildete sich in Zweifall als Abzweig von Stolberg eine lutherische Gemeinde und baute eine Kapelle. Die neue Lehre hatte aber schon viel früher Fuß gefasst. Ihre Anhänger sollen die 1521 gerade errichtete Kirche an sich genommen haben, wogegen der streng altgläubige Amtmann von Rolshausen d.Ä. eingeschritten sein soll. Als dann 1609 im Jülicher Erbfolgestreit Brandenburg das Amt besetzte und der 1611 eingesetzte Amtmann Oberst von Kettler wie sein Landesherr die Reformierten förderte, erhielten diese die Zweifaller Kirche; wie in Monschau wurden Altgläubige und Lutherische vertrieben. Die spanische Eroberung des Amtes 1622 brachte dann gewaltsame Unterdrückung protestantischer Gemeinden, bis im Religionsvergleich von 1672 die lutherischen Gemeinden von Zweifall und Menzerath (Imgenbroich und Monschau) anerkannt wurden. Anders als bei der katholischen Gemeinde kümmerte man sich bei der lutherischen deutlich früher um einen ordentlichen Schulunterricht: 1688 wurde ein Schulhaus neben dem Pastorat eingerichtet, von 1718 an sind kontinuierlich Lehrpersonen bezeugt.

Nach der preußischen Kommunalordnung von 1816 bildeten die Gemeinden Zweifall, Mulartshütte und Lammersdorf eine Bürgermeisterei mit Sitz in Lammersdorf. 1850 kam Lammersdorf als Gemeinde zur Samtgemeinde / Bürgermeisterei Simmerath, die Spezialgemeinde Mulartshütte wurde mit Zweifall zu einer Gemeinde vereinigt. Die alte Grenzsituation wirkte noch bis 1884 nach, insofern die zur Kreisgrenze gewordene Vicht eine zweigeteilte Finanzverwaltung von Zweifall bewirkte. Durch die Kommunalreform von 1972 mit der Auflösung des Landkreises Monschau wurde Zweifall (ohne Mulartshütte) der Gemeinde Stolberg zugeordnet.

Kloster vor 1960

Nach der Einnahme von Roetgen durch amerikanische Einheiten am 12. September 1944 rückten die Amerikaner zügig entlang der Vicht über Rott vor und erreichten zwei Tage später Zweifall. Das Dorf war am 12. September evakuiert worden, wobei sich jedoch der überwiegende Teil der Bewohner in den nahen Wäldern aufhielt, von wo die meisten noch am gleichen Tag zurückkehren konnten. Die größten Schäden waren am 13. September durch die deutschen Brückensprengungen verursacht worden. Durch den nachfolgenden Halt des amerikanischen Vormarsches geriet Zweifall in eine rückwärtige Stellung der nun beginnenden Schlacht im Hürtgenwald und wurde Stabsquartier verschiedener US-Divisionen (u.a. Besuch von General George Marshall, 11. Oktober 1944).

In den Jahren 1954/55 entstand, abseits vom Ortskern am Waldrand ein Karmelitinnen-Kloster „Maria-Regina“ als Ableger des Dürener Karmel (bis 2006).

Aus Zweifall stammt höchstwahrscheinlich der Mathematiker, Musiktheoretiker und Drucker Dietrich Tzwivel, der in Münster/Westfalen wirkte. Als seine bekannteste Arbeit gilt die Erneuerung der astronomischen Uhr im Dom zu Münster 1540 nach den Zerstörungen der Täuferherrschaft.

Weiteres: s. Mulartshütte, Rott

Literatur: H. Koch (Bearb.) unter Mitarbeit von E. Bieroth, G. Hörnig, W. Kleingarn, W. Nerlich und M. Pemper: Zweifall. Wald- und Grenzdorf im Vichttal. Als 2. erweiterte Auflage des Zweifaller Heimatbuches von J. Bendel, 1968; B. Läufer: Nachrichten der merkwürdigsten Begebenheiten. Chronik der Gemeinden Lammersdorf, Zweifall und Mulartshütte, Monschau-Aachen 2006 (= Beiträge zur Geschichte des Monschauer Landes. 7); H. Schreiber – K. Schreiber: Die Hammerwerke des oberen Vichttales und ihre wirtschaftlichen Grundlagen, in: Vicht. Beiträge zur Heimatgeschichte. Teil 3, hg. vom Chronik-Kreis der Pfarrgemeinde St. Johann Baptist zu Stolberg-Vicht, o. J. [1993], S. 57-401